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Erinnerung darf nicht enden – Arbeitserziehungslager in Niederbühl

Von Wolfgang Braun
Erstellt im November 2024. Zweite, überarbeitete Version vom Januar 2021.
Vielen Dank an unser Gründungsmitglied Wolfgang Braun für seine wertvollen historischen Beiträge und seine Unterstützung als Autor im Heimverein Niederbühl-Förch e.V.

Der Autor versucht in diesem Beitrag – obwohl objektive Daten mit der Lupe zu suchen sind – das Schicksal der im Niederbühler Arbeitserziehungslager internierten Menschen während des Nationalsozialismus näher zu beleuchten.


Als Leitmotiv des Artikels gilt die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog in einer Rede, gehalten im Jahr 1999 im Deutschen Bundestag. Er wählte den Titel seiner Ausführungen:

„Erinnerung darf nicht enden – ohne Erinnerung keine Zukunft“.

Wenn Menschen in Niederbühl ausgenutzt, entrechtet, verfolgt und vernichtet wurden, so dürfen diese Schreckenstaten – auch fast 90 Jahre danach – nicht vergessen werden. Die Rede ist von den menschenunwürdigen Zuständen im ehemaligen Arbeitserziehungslager an der Landstraße zwischen Niederbühl und Kuppenheim in der Nähe des BASI Acetylenwerkes. Dieser Ort des Grauens wurde gemäß eines Erlasses Heinrich Himmlers durch regionale Gestapo-Dienststellen im Jahr 1942 eingerichtet. Das Lager, welches während der Zeit des Nationalsozialismus offiziell als „Erziehungslager“ bezeichnet wurde, diente in erster Linie der Disziplinierung und Umerziehung von Andersdenkenden, politischen Gegnern und Langzeit-Arbeitslosen. Diese „Erziehungszwecke“ galten offiziell nicht als Strafmaßnahmen und bedurften somit – als rein polizeiliche Anordnungen – keinerlei gerichtliche Entscheidungen.


Welche Personen aus welchen Gründen verhaftet und bestraft wurden, war der Willkür der zuständigen Dienststellen überlassen.

Als Haftgrund konnte neben „Arbeitsbummelei“ oder „Arbeitsverweigerung“ beispielsweise auch das Nichtausführen des „deutschen Grußes“ gelten. Frauen wurden u. a. wegen Verletzung des Kontaktverbotes mit sogenannten Volksfremden, d. h. in der Regel mit Männern aus Osteuropa inhaftiert.

 

Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass lokale Interessen der Industrie und der Gemeinden an der Disziplinierung und Ausbeutung der Arbeitskräfte mitwirkten. Man schätzt, dass es im Deutschen Reich (einschließlich der besetzten Gebiete) etwa 200 dieser Lager mit ca. 500.000 inhaftierten, ausgehungerten und ausgebeuteten Arbeitssklaven gab. [1]

 

Auf Baden bezogen zählte man im November 1942 ca. 70.000 Zwangsarbeiter. Rechnet man die überwiegend aus Frankreich, Polen und der Sowjetunion stammenden Kriegsgefangenen hinzu, erhöht sich die Zahl auf 110.000, was etwa 20% der Beschäftigten bedeutet. [2]


Laut einer Statistik des Landesarbeitsamtes schufteten im Bereich Rastatt fast 4.000 ausländische Zwangsarbeiter, die in Niederbühl, Rotenfels und Weisenbach untergebracht wurden. Viele wurden im Daimler-Benz-Werk in Gaggenau eingesetzt. Dort arbeiteten im Durchschnitt zwischen 1.500 und 2.000 Häftlinge, die von den „Sicherungsverwahrungslagern“ Schirmeck-Vorbruck und Natzweiler-Struthof angefordert wurden. [3]

 

Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse von Häftlingen kann man getrost als staatspolizeilich angeordneten Arbeits- und Haftterror bezeichnen.

Trotz der spärlichen Datenlage über das Niederbühler Lager gibt es vielfältige mündlich überlieferte Berichte. So beschrieben vor allem Großeltern als Zeitzeugen von „… mit Stacheldraht umgebenen Männerbaracken und einer Frauenbaracke“. Eine Handskizze (Fotografieren war strengstens verboten) des Niederbühler Heimatforschers und Hobbymalers Wilhelm Kenz zeigt acht Gebäude, davon eines im Rohbau, die sog. Frauenbaracke.


Obwohl das Thema „Niederbühler Arbeitserziehungslager“ ein Tabuthema war (und auch heute noch ist), wurde in unserer Gemeinde oft berichtet, dass man vom Arbeitseinsatz im Gleichschritt zurückkehrenden Gefangenen so manches Essbare heimlich zusteckte.

 

In seinem Buch: „Wo´s d´ Dörflein sich erinnert“ berichtet der Niederbühler „Hobbypoet“ Lothar Herrmann u. a. von abscheulichen Strafmaßnahmen. So kam es oft vor, dass man selbst in strengsten Wintertagen Lagerinsassen in den eiskalten Kanal trieb.

 

Lothar Herrmann beschreibt die Maschinerie der Gestapo wie folgt:

„Das Dorf schweigt, wie alle schweigen. Es ist die Zeit des Schweigens. Wer schweigt kann überleben. Wer redet ist tot, … ein Dorf erblickt die nationalsozialistische Barbarei.“

Lothar Herrmann war damals neun Jahre alt. Er erinnert sich an einen Wachmann namens Karl Weber, dessen Tochter Helga Rosenbaum (seinerzeit noch Kind) folgende Szene miterlebt hat:

„Ich sah einen Mann, der auf dem Boden kniete. Ein Wachmann drückte ihm den Kopf in sein Erbrochenes und zwang ihn, es zu essen.“

Und weiter Helga Rosenbaum:

„Ich habe dieses Bild noch heute genau in meinem Kopf. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann kommt es manchmal in mir hoch.“

Hier eines der seltenen Bilder der Frauenbaracke. [4]


Henry Foltzer, ein vom Elsass kommender Gefangener schreibt:

„Eines Tages, als wir zum Lager zurückstiegen – ich glaube es war ein Sonntag –
brach vor mir ein Russe plötzlich zusammen, tot. Ohne Zweifel starb er an Erschöpfung, denn wir hatten seit Langem kaum mehr etwas zu uns genommen.
Die Wachmänner haben nicht einmal angehalten, man ließ ihn dort am Straßenrand liegen. Dies gab mir einen Stich ins Herz. Dieser Russe war jung, er würde sein Land nicht mehr wiedersehen, ich kannte noch nicht einmal seinen Namen.“ [5]

Text- und Bildquelle: Landeszentrale für politische Bildung BW,
Lehren & Lernen, der Weg des Erinnerns - Der Leidesweg der Zwangsarbeiter

Folgendes Dokument mit dem Titel „Grabmeldung“ zeigt die Meldung des Ortskommandanten aus Niederbühl, der dem Kriegsgräberdienst in Schwäbisch Hall den Tod des holländischen „Zivilarbeiters“ Piet Rozendal meldet. Als Todesgrund wurde bei dem gerade 21 Jahre alten jungen Mannes „Herzschwäche“ angegeben. „Herzschwäche“ stand im Sprachgebrauch als Synonym für „Erschöpfung durch Zwangsarbeit“. [i]



Auf dem Ehrenhain unseres Friedhofes trägt ein Gedenkstein – neben 18 Namen – die Aufschrift:

 

„In Erinnerung an die Verstorbenen des ehemaligen Arbeitserziehungslagers Niederbühl“.

 

Dieser Stein soll die Gedanken an eine Zeit absoluter Menschenverachtung aufrecht erhalten, wohl wissend, dass es in der Nachkriegszeit, so. z. B. bei dem Zwangseinsatz von Arbeitssklaven aus Schwarz-Afrika über das Netz von Straf- und Arbeitslagern in der ehemaligen Sowjetunion (Gulag), China, Nordkorea, der ehemaligen DDR und leider in noch vielen weiteren Staaten zu unbeschreiblichen millionenhaften Verbrechen an der Menschenwürde kam und kommt.

 

Diese kleine Dokumentation will nicht mit erhobenem Zeigefinger auf Andere zeigen, sondern wachrütteln, allen Tendenzen entgegenzutreten, die irgendeine Ideologie über das Wohl des Einzelnen stellt.

 

Vielleicht wird die Idee des Autors eines Tages realisiert, ein Zeichen des Gedenkens am Ort des Verbrechens in Niederbühl zu errichten.

 

Herausgeber

Heimatverein Niederbühl-Förch e. V.

Autor (Text- und Gestaltung)

Erstellt im November 2024. Zweite, überarbeitete Version vom Januar 2021

Blogbeitrag (Gestaltung)

Erstellt im November 2024 vom Heimatverein Niederbühl-Förch durch Marcus Wirth

Text- und Bildquellen

Sofern nichts anderes vermerkt ist, stammen die Fotografien und Texte von Wolfgang Braun
[1] „Zwangsarbeit im NS-Staat“, Stiftung: Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, Bundesarchiv Koblenz, 2010
[2] vgl. Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins ,,Schau-ins-Land", Freiburg, in der 111. Jahresschrift von
1992 auf den Seiten 179 ff.
[3] Wussten Sie, dass Teile der B500 zwischen Baden-Baden und Freudenstadt von Zwangsarbeitern
ausgebaut wurden. Ein mit Stacheldraht umzäuntes Lager befand sich in der Nähe des Kniebis. Quelle: Haus der Geschichte BW
[4] Koch, Markus, „Das Arbeitserziehungslager Niederbühl“, Heimatbuch Landkreis Rastatt, 2013, S. 83 ff.
[5] Landeszentrale für politische Bildung BW, Lehren & Lernen, der Weg des Erinnerns  Der Leidesweg
der Zwangsarbeiter.
[I] Das „International Center on Nazi Persecution“ hält eine Datenbank des Grauens vor, die vom
Auswärtigen Amt finanziert wird. Unter https://collections.arolsen-archives.org finden Sie weitere 20
Datensätze in Todeslisten und Gefangenenbüchern von Niederbühler Bürgern.

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